Ein Film nur übers Ficken ist OK

13.08.2010 - 11:00 Uhr
Bruce La Bruce über LA Zombie
Raspberry & Cream
Bruce La Bruce über LA Zombie
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Kunst und Pornographie – geht das zusammen? Skandalregisseur Bruce La Bruce versucht immer wieder beides zu vereinen. Ein Gespräch mit ihm über seinen neuen Film, Vorbilder, filmische Vorlieben und die Mechanik der Pornobranche.

Das Doku-Drama Hustler White mit Madonnas Ex-Lover Tony Ward in der Hauptrolle hat Bruce La Bruce bekannt gemacht. In seinem letzten Film Otto; or Up with Dead People erkundete er die Grenzen des Zombie-Genres und ließ einen schwulen Untoten durch Berlin ziehen. Nun hat der kanadische Underground-Filmemacher seinen neusten Film L.A. Zombie in Locarno vorgestellt – Gelegenheit für moviepilot den Ausnahmeregisseur beim Filmfestival zu treffen.

Bruce, deine Filme sind alle sehr unterschiedlich. Zwischen deinem letzten Film Otto; or Up with Dead People und L.A. Zombie gibt es jedoch auffällige Parellelen – woher kommen die?

An Otto ging ich mit der Erwartung heran, einen Hardcore-Zombie-Pornofilm zu machen. Doch dann war der Hauptdarsteller Jey Crisfar nicht sehr begeistert darüber, Sexszenen drehen zu müssen. Ich bat ihn zwar die Szenen zu machen, doch er lehnte schließlich ab, was OK war. Am Ende wurde daraus eben eher ein Independent-Arthouse-Film als ein Porno. Aber die Idee war da und ich wollte schließlich einen Hardcore-Zombie-Gorefilm machen – so kam es zu L.A. Zombie. Deshalb sind die Filme auch sehr ähnlich, auch dramatisch. Doch gleichzeitig sind sie auch sehr verschieden. Visuell hat Otto eher einen Gothic-Look, während L.A. Zombie doch sehr modern aussieht und durch die Location natürlich viel amerikanischer wirkt. Otto erinnert da eher an den deutschen Expressionismus.

Woher nimmst du die Inspirationen für deine Filme?

Ich lasse mich sehr von bestimmten Orten inspirieren. So habe ich bereits zwei Filme gedreht, die in Berlin spielen. Otto war meine Hommage an Berlin und gab mir Gelegenheit, einige meiner Lieblingsorte Berlins zu nutzen, z.B. die Friedhöfe. Da bin ich wie ein Ghul – ich liebe es auf Friedhöfen zu drehen. Außerdem drehten wir im verlassenen Spreepark, der seit fast zehn Jahren geschlossen ist, und auf dem Recyclinghof in der Köpenicker Straße, der mittlerweile aber auch verschwunden ist. Das war wie eine Dokumentation der Stadt. Wir haben an wirklich spektakulären Orten gedreht, von denen es viele inzwischen nicht mehr gibt. Als ich Hustler White gedreht habe, filmten wir die Stricher-Szene am Santa Monica Boulevard und dokumentierten so die letzte Phase einer Szene, die mittlerweile nicht mehr existiert.

Welcher Film ist deine Hommage an L.A.? Hustler White oder L.A. Zombie?

Beide! Beide spielen in L.A., wobei L.A. Zombie fast wie eine Fortsetzung zu Hustler White ist. Die letzte Szene von Hustler White wurde am Zuma Beach in Malibu, Kalifornien gedreht. Meine Figur Jürgen Anger wirft darin den Körper von Tony Ward ins Meer. Und die Eröffnungsszene von L.A. Zombie, in der François (Sagat) aus dem Meer steigt, spielt an exakt derselben Stelle, sodass dies gleichsam eine Anspielung an und eine direkte Fortsetzung von Hustler White ist. Doch es gibt noch mehr Parallelen zwischen den beiden Filmen, etwa das Leben auf der Straße in Los Angeles. Bei Hustler White sind es die Stricher und jetzt bei L.A. Zombie die Obdachlosen auf der Straße.

In deinem Film sind echte Obdachlose quasi dokumentarisch zu sehen. Wie habt ihr diese Szenen geschossen?

Mir ging es um Authentizität. Wir haben diesen Typen getroffen, der unter einer Autobahnbrücke lebte und sein Hab und Gut auf zehn Einkaufswagen verteilt hatte. In Hollywood hätte man gesagt, das wirke übertrieben. Zehn Einkaufswagen in einer Reihe findet man eben nur im realen Leben! Wir haben ihm Geld gegeben, damit wir ihn filmen dürfen. So hat es sich nicht ausbeuterisch angefühlt: Er war bereit mitzumachen und wir haben ihn dafür bezahlt – so wurde er Teil des Casts. Dann gab es diese Schlange, wo Leute nach Suppe anstanden. Dort haben wir versucht heimlich aus dem Auto heraus zu filmen. Ich habe François einfach losgeschickt, damit er sich auch anstellt, aber hab ihm keine Anweisungen gegeben, was er machen soll – das war improvisiert. Übrigens: Viele der Menschen, die auf der Straße leben, können sich ziemlich gut ausdrücken, viele sind schizophren, aber es gibt auch sehr intelligente. Das ist ja der Kern meines Films: Der Typ, der als abgefahrener, außerirdischer Zombie dargestellt wird, ist tatsächlich ein Mensch mit Gefühlen. Er hat immer wieder schizophrene Schübe, doch letztlich ist er vor allem ein sehr emotional bewegter Charakter.

Dein Film verwirrt, er macht Angst, Lust, es gibt auch komische Effekte. Welche Reaktion willst du beim Zuschauer hervorrufen?

Melancholie! L.A. Zombie ist ein trauriges Gedicht über Los Angeles.

Wie hast du die Schauspieler ausgewählt, mit denen du in L.A. Zombie gearbeitet hast? Hast du sofort an François Sagat gedacht?

Bei diesem Projekt hatte ich von vornherein François im Kopf, er war wirklich Teil der Inspiration für das Projekt. Ich hatte viele seiner YouTube-Videos gesehen, die er gemacht hat. Es gab etwa ein ganz erstaunliches, wo er sich Steroide injiziert, das er dann auf YouTube gepostet hat, wo es aber sofort entfernt wurde. Es gab einen kleinen Skandal auf YouTube, aber letzten Endes ist es nur ein persönliches Ritual für ihn, dass er eben auf YouTube teilt. Und dazu gehört auch die Idee, das wirkliche Leben eines Pornostars zu enthüllen und auf die Mechanismen der Pornobranche aufmerksam zu machen. Was die restlichen Darsteller angeht, sprach ich mich mit François ab, denn er war es ja, der mit ihnen Sex haben musste. Also gab er mir eine Liste von Leuten, mit denen er gerne arbeiten würde, und wir setzten uns mit ihnen in Verbindung.

Wer sind deine Vorbilder?

Was Filmemacher angeht war ich immer ein großer Fan von Leuten wie Robert Altman oder John Cassavetes, die in den Siebzigern anfingen, Hollywood zu dekonstruieren. Die Idee, dass Hollywood auseinanderfällt und die Konventionen klassischen Erzählens gelockert werden, inspirierte mich am meisten. Mein erster Spielfilm No Skin Off My Ass war beinahe ein Remake des Robert Altman-Films That Cold Day in the Park.

Wie ist deine Beziehung zur französischen Regisseurin Catherine Breillat, die ja ebenfalls nach neuen Wegen sucht, Sexualität in Filmen zu thematisieren?

Ich habe sie nie persönlich getroffen, aber kenne viele ihrer Filme. Einige davon mag ich sehr gern, andere weniger. Anatomie der Hölle war mir absolut zuwider, aber Meine Schwester ist ein toller Film. Auch Romance mochte ich sehr gern. Die letzte Mätresse hab ich leider noch nicht gesehen. Ich finde sie auf jeden Fall sehr interessant.

Wie hat dir Shortbus von John Cameron Mitchell gefallen?

Klar, den hab ich gesehen, mit John bin ich befreundet. Aber Shortbus ist nicht so mein Fall, denn John versucht Sex auf der Leinwand emotional zu motivieren. Sein Film ist auch ein Statement gegen Pornographie, aber auf ganz andere Art und Weise. Er denkt, es müsse um Beziehungen gehen und dass Sex im Kino stattfinden sollte zwischen Leuten, die sich emotional ganz nah sind. Diese Meinung teile ich nicht. Ein Film nur übers Ficken ist OK und ich habe auch kein Problem mit Pornographie ohne Emotionen.

In Shortbus dienen die Sexszenen der Motivierung der Handlung. Welche Rolle spielt Sex in deinen Filmen?

Ich bewerte Pornographie nie moralisch. Ich zeige mich solidarisch mit den Machern, obwohl die Porno-Welt Kritik verdient und viele Porno-Filme absolut schrecklich sind. Aber prinzipiell befürworte ich Pornos und unterstütze Leute, die in der Branche arbeiten. Es ist nicht verwerflich, wenn Leute promiskuitiv leben oder Sex als Mittel der Freizeitgestaltung betrachten. Sex muss für mich kein emotionaler Akt sein.

Welche Kritik übst du an der Branche?

Es gibt diese drei muskulösen steroid-aufgespritzten Pornotypen am Ende des Films, die in einem Massaker niedergemacht werden. Irgendwie hat es mir sehr gefallen, diese perfekten Körper kaputt zu machen.

Also eigentlich schießt du selbst die Jungs nieder?

Klar, irgendwie schon. Es ist meine Art diese künstliche Welt zu zerstören, die genauso wie Hollywood funktioniert. Pornographie versucht immer eine Illusion herzustellen: gierige, unersättliche Sextiere, die jederzeit Sex mit jedermann haben können, die immer perfekt und gleichzeitig kommen können. Diese Täuschung in pornographischen Filmen funktioniert genau wie die Fantasien Hollywoods, zumindest die des Mainstream-Hollywoods. Meine Filme untergraben diese ganze Illusionsbildung und lenken die Aufmerksamkeit des Zuschauers auf die Mechanik dahinter.

Bruce, vielen Dank für das Gespräch!

Weitere Infos zu Bruce La Bruce findet ihr hier:
Hompage von Bruce La Bruce
Twitter-Account von Bruce La Bruce
Porträt in der Zeit
Bericht über die Eröffnung der Ausstellung zu L.A. Zombie

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