Krasses Kino aus Belgien

13.06.2012 - 08:50 UhrVor 12 Jahren aktualisiert
Benoît Poelvoorde in Mann beißt Hund
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Benoît Poelvoorde in Mann beißt Hund
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Aus Belgien kamen in letzter Zeit einige Filme, die bemerkenswert innovativ, aber auch hart an der Grenze des guten Geschmacks anzusiedeln waren. Wir stellen sie euch vor und stellen die Frage, wo Innovation aufhört und Geschmacklosigkeit anfängt.

Wofür ist der europäische Film bekannt? Finanziell kann das europäische Kino nicht mit seinem amerikanischen Pendant mithalten. Damit gehen einige Effekte einher, die nicht unbedingt negativ sein müssen. Europäische Filme sind weniger bombastisch, unaufgeregter, langsamer, subtiler. Und: inhaltlich innovativer. Dies scheint vor allem für Filme aus kleinen europäischen Ländern zu gelten. Es sind meist die Kleinen, die Grenzen austesten und neue, manchmal auch schockierende Ideen ins Kino bringen. Gut möglich, dass dies auch einer geradezu erzwungen inhaltlichen Innovation geschuldet ist, da neue Wege und Spielräume im technischen Bereich auf Grund fehlender finanzieller Mittel verbaut sind. Innovation ist gut, doch sie hat eine Kehrseite: Wer heute noch etwas Neues bieten will, befindet sich schnell an der Grenze des Erträglichen.

Beweise für die Innovationskraft, aber auch das Skandal-Potential des europäischen Films, lieferte zuletzt in schöner Regelmäßigkeit das belgische Kino. In den letzten Jahren kamen gleich vier Filme aus unserem westlichen Nachbarland in die europäischen Art-House-Kinos, die Kritiker begeisterten und ohne Zweifel cineastische Klasse bieten – bei denen sich einzelne Szenen oder ganze Plots aber hart an der Grenze des guten Geschmacks befinden. Oder – so viel sei vorweg genommen – darüber hinaus gehen. Wir möchten euch die krassesten Vertreter des belgischen Kinos vorstellen, damit ihr selbst entscheiden könnt, wo für euch Innovation aufhört und Geschmacklosigkeit anfängt.

Die vier krassen belgischen Veröffentlichungen der letzten Jahre sind Ex Drummer (2007), Die Beschissenheit der Dinge (2009), Bullhead (2011) und Kill Me Please, der 2010 gedreht wurde, aber erst jetzt in den deutschen Kinos läuft. Beginnen muss diese Liste allerdings mit einem kontroversen Film, der womöglich erst den Weg für die oben genannten Filme geebnet hat: Mann beißt Hund. Der Film wurde 1992 gedreht und stammt somit aus einer Zeit, als das Wort Mockumentary noch ausschließlich in Filmhochschulen bekannt war. Ein fiktives Kamerateam begleitet den Serienmörder Ben (gespielt von dem jungen Benoît Poelvoorde, bekannt aus der Komödie Nichts zu verzollen) bei seinem Tagwerk. Richtig, so zynisch es klingt, aber Mord allein schockiert in keinem Film mehr. Doch Mann beißt Hund ist mehr als eine beißende und humorvolle Satire – spätestens wenn das Kamerateam gemeinsam mit Ben anfängt, Frauen zu schänden, dann gefriert das Grinsen über Bens pseudophilosophische Dialoge.

Da sind Die Beschissenheit der Dinge und Bullhead sicherlich noch etwas leichter verdaulich. Die Beschissenheit der Dinge erzählt die Geschichte des 13-jährigen Gunther, der bei seinem Vater und seinen drei Onkels aufwächst. Wenn in dieser White Trash-Familie wilde und äußerst kreative Saufspiele gespielt werden, dann ist das noch wirklich amüsant. Doch die unterste Unterschicht wird auch von ihrer dramatischen Seite gezeigt. Ein Kind, das von Erwachsenen zum Saufen animiert oder mit einem Messer angegriffen wird, hinterlässt ein ungutes Gefühl in der Magengegend. Auch Bullhead, ein düsterer Thriller (mit einem grandiosen Matthias Schoenaerts), der im Metier der Steroidmafia angesiedelt ist, wurde durchaus kontrovers beurteilt. Hier war es allerdings vor allem eine einzelne Szene – die furchtbare Darstellung der Kastration eines Menschen -, die selbst bei den, normalerweise doch sehr duldsamen, Filmkritikern für Empörung gesorgt hat.

Kill me Please hingegen funktioniert ein bisschen wie Mann beißt Hund. Kein Wunder, sowohl die schwarz-weiße Ästethik als auch der Hauptdarsteller Benoît Poelvoorde erinnern an den Klassiker. Ähnlich ist auch die Herangehenweise dieser schwarze Komödie um eine Klinik, die kreative Sterbehilfe für Suizidkandidaten anbietet: Wiegen sich Freunde subtilen und morbiden Humors anfangs noch in Sicherheit, geht der Film am Ende so weit, dass das gerade noch fröhlich genaschte Popcorn im Hals stecken bleibt. Getoppt wird dies von Ex Drummer, einem Film, der den vorher Genannten mit seinem Reichtum an kontroversen und schockierenden Szenen mit großem Vorsprung den Rang abläuft. Der erfolgreiche Schriftsteller Dries wird Drummer bei der Punkband The Feminists, die aus den drei elendsten und kaputtesten Bewohnern der Kleinstadt Oostende besteht. Dries taucht als interessierter Beobachter in das schäbige Leben der drei Musiker ein, das von Gewalt und Wahnsinn geprägt ist. Vor dem ‘Genuss’ dieses Filmes, sollten Zartbesaitete vielleicht das Abendessen auslassen.

Warum nun diese Welle krasser Filme gerade aus Belgien kommt ist schwer zu beantworten. Interessant ist, dass alle fünf Filme von verschiedenen Regisseuren verwirklicht wurden. Wir haben es hier also nicht mit ein oder zwei kreativen und provokanten Geistern zu tun, wie es aus dem Kino anderer kleiner Länder üblich ist. Viel eher scheint es denkbar, dass sich die Filmemacher gegenseitig hochgeschaukelt haben. Ein weiterer Grund ist sicher das ungewöhnliche Filmfördersystem in Belgien. Ein besonderes Steuersystem begünstigt Investitionen im Filmbereich und das System staatlicher Unterstützung fördert Eigeninitiative (mehr dazu auf media-deutschland.eu ). Vielleicht schlummert in Deutschland also das gleiche Innovations- und Skandalpotential wie in Belgien, kommt aber nicht zur Entfaltung? Ob das gut oder schlecht wäre, müsst ihr allerdings für euch selbst entscheiden.

Wie gefallen euch diese krassen belgischen Filme und wo zieht ihr die Grenzen des guten Geschmacks?

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