Unheimlich fesselnder Kriegsfilm jetzt im Kino: Er fühlt sich schmerzhaft real an, aber wegzusehen ist unmöglich

20.04.2024 - 12:00 UhrVor 11 Tagen aktualisiert
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Civil War heißt der neue Film von Alex Garland – und das völlig zurecht. Denn der Sci-Fi-Guru konfrontiert uns mit einem Kriegsszenario, das sich beängstigend realitätsnah ins Gedächtnis brennt.

Der Präsident der Vereinigten Staaten verkündet im Fernsehen, dass sein Sieg selten greifbarer war. Fotografin Lee (Kirsten Dunst) wendet sich von der Mattscheibe ab und geht nach draußen. Hier schreien und demonstrieren Menschen auf der Straße. Eine Person mit wehender US-Flagge rennt vorbei. Mit einer Souveränität, die nur aus vorigen Erfahrungen stammen kann, erkennt die Journalistin die Gefahr und duckt sich hinter ein Auto, bevor die Bombe in der Menge explodiert. Willkommen im Bürgerkrieg von Civil War.

Alex Garlands Civil War nimmt uns mit auf einen Roadtrip durchs kriegsgebeutelte Amerika

Regisseur Alex Garland machte sich in der Vergangenheit vor allem durch seine Filme Ex Machina und Auslöschung, sowie als Drehbuchautor von 28 Days Later und Dredd, einen Namen als Sci-Fi-Ausnahme-Talent. Auch Civil War gehört mit seiner Vision eines zweiten US-Bürgerkriegs als soziale Dystopie strenggenommen in den Soft Science-Fiction-Bereich. Bei solchen Vertretern wie The Handmaid's Tale erforschen Zukunftsentwürfe nicht technische Errungenschaften, sondern Entwicklungen der Geisteswissenschaften (wie der Politik und Soziologie). Die Geschichte von Civil War spielt in einer unbestimmten Zeit, in der der politische Konflikt des mental gespaltenen Amerikas zu einem Krieg eskaliert ist.

Auf der einen Seite steht ein zunehmend diktatorischer Präsident (Nick Offerman), der nicht aus dem Amt scheiden will, auf der anderen Seite die sogenannten "Westlichen Mächte" Kalifornien und Texas, die ihn stürzen wollen. Das klingt nach einer Dystopie, doch wenn wir an der Seite einiger Journalist:innen in die Auseinandersetzung geworfen werden, fühlt sich das alles andere als fiktiv an. Vielmehr wirkt Civil War wie ein Kriegsfilm nach wahren Begebenheiten. Ein Kriegsfilm der Gegenwart. Es macht Alex Garlands Action-Kino umso unheimlicher und präsenter, als wenn uns Roboter in ein Szenario in weiter Ferne entführen würden.

Kristen Dunst und ihr Journalisten-Team in Civil War

An vorderster Front von Civil War läuft ein umwerfend besetzter Cast auf. Das Reporter-Team begibt sich im Auto auf die 875 Meilen (ca. 1.408 Kilometer) lange Reise von New York City nach Washington D.C., um hoffentlich als erste den kurz vor dem Umsturz stehenden Präsidenten zu erreichen. Die Gruppe besteht aus vier Leuten:

  • Kirsten Dunst (Spider-Man) spielt die abgehärtete Fotografin Lee mit genau der richtigen Mischung aus Erfahrung und melancholischer Abgestumpftheit.
  • Wagner Mouras (Narcos) Zitat-Jäger Joel ist eine Ein-Mann-Charme-Offensive, auch wenn er den Adrenalin-Kick seiner Arbeit zuweilen etwas zu sehr genießt.
  • Stephen McKinley Henderson (Dune) glaubt man sofort, dass er als Oldschool-Journalist eigentlich zu alt für die gefährliche Arbeit ist, aber trotzdem nicht die Finger davon lassen kann.
  • Cailee Spaeny (Priscilla) verkörpert zu guter Letzt die blutjunge Fotografin Jessie mit einem ängstlichen Wagemut, der unserer eigenen Perspektive am nächsten kommt.

Sie alle erschaffen glaubhafte Figuren, die zum Realitätsgefühl von Civil War beitragen und uns überzeugend durch die Erzählung leiten. Wobei die Nebenfiguren nicht minder stark besetzt sind. Jesse Plemons liefert als Miliz-Anhänger mit eigenem Massengrab beispielsweise seine unheimlichste Performance seit Breaking Bad ab.

Realität trifft Fiktion: Warum der Sci-Fi-Kriegsfilm Civil War so real wirkt

Gegenüber The Telegraph  stellte Alex Garland schon vorab klar, dass Civil War als Gedankenspiel aus dem Dilemma der polarisierten USA geboren wurde. Die Fronten der Demokraten und Republikaner sind verhärtet bis ins Extrem. Dabei sollten Garland-Fans vor dem Kinobesuch allerdings wissen, dass der Fokus diesmal, anders als in seinen vorigen Filmen, nicht auf vorsichtig tastenden Menschheits-Verhandlungen liegt. Civil War ist pure Erfahrung: Krieg im Kopf.

Civil War-Soldat der liberalen West-Mächte: nur echt mit Nagellack

Wer von diesem Ausgangspunkt startet, bekommt eine atemlos mitreißende Filmerfahrung. Clevere kleine Bemerkungen und Beobachtungen nehmen uns in die Kriegssituation mit. Offenbar befindet sich der US-Präsident in seiner dritten Amtszeit (erlaubt sind eigentlich nur zwei). Von Aufzügen ist wegen der ständigen Stromausfälle abzuraten. Mit 300 US-Dollar kann man sich gerade mal ein Sandwich leisten, während kanadische Dollar gern gesehen sind. Selbst wenn in der Ferne ein Feuerball die Straßen New Yorks erschüttert, hebt kaum noch jemand den Blick.

Abseits dieser gelungenen Fingerzeige packt uns Civil War als Kriegsfilm aber noch aus einem anderen Grund: Er wirft uns erschreckend echt in den Beruf von Kriegsberichterstatter:innen. Mit ihren Kameras stürmen sie in einen tobenden Konflikt und filmen brennende Menschen, statt zu sie zu retten. Mit ihrem Presseausweis als Schutzschild sind sie keine aktiven Helfer, sondern unbeteiligte Beobachter:innen. Doch was macht das mit einem Menschen?

Civil War: Wie sicher sind Kriegsreporter:innen?

Gräueltaten prallen auf eine scheinbare Gleichgültigkeit. Kirsten Dunsts abgestumpfte Fotografin sagt in Civil War, sie habe früher ihre "Bilder als Warnung nach Hause geschickt". Jetzt tobt der Krieg trotzdem in ihrer Heimat. Während ihre untätigen Eltern in der Provinz die landesweite Eskalation ignorieren, stürzt sich Lee in die Brandherde. Auch wenn sie, Joel und die anderen dadurch nachts kaum noch schlafen. Die Frage nach dem 'Warum' ihres Handelns beantwortet Civil War nicht vollends. Doch schon allein, indem der Film die Motivation seiner Kriegsjournalist:innen hinterfragt, erlangt er mehr eindringliche Tiefe.

Erst am Ende von Civil War kommen die Zweifel

Anders als andere dystopische Geschichten wie The Road oder The Walking Dead, die vom Niedergang der Zivilisation aus der Perspektive einer Postapokalypse erzählen, begibt sich Civil War direkt in die Apokalypse. Nur ist es kein Weltuntergang wie Roland Emmerichs globale 2012-Katastrophe, sondern ein Krieg vor der eigenen Haustür. Es ist eine fiktive Kriegserfahrung, die sich aus realen Ängsten speist und mit der aktuellen Nachrichtenlage umso greifbarer wirkt – weil sie ihren Finger in die Wunde unserer Gegenwart legt.

Dazu tragen insbesondere die alltäglichen Orte in Civil War bei, die den Roadtrip pflastern: Tankstellen-Begegnungen, Feuergefechte in Wohnblöcken und ein Hinterhalt inmitten von Weihnachtsdekorationen. Erst wenn wir im letzten Filmdrittel Washington D.C. erreichen, verschiebt sich diese unheimliche Nähe zu unserer eigenen Lebensrealität. Dann verwandelt sich der Kriegsfilm plötzlich in eine militärische Hetzjagd à la Zero Dark Thirty und 13 Hours – und lässt uns am Höhepunkt straucheln.

Civil War: die Fotografinnen suchen Feuerschutz

Civil War unterbricht die actiongeladene Handlung immer wieder mit kurzen Schnappschüssen. Spätestens mit dem letzten Foto des Films schleicht sich allerdings (zumindest aus nicht-amerikanischer Perspektive) ein schaler Beigeschmack ein – eine unangenehme Leere, was das Thema Krieg und seine Methoden betrifft. In der Unversöhnlichkeit der Seiten verschwimmen Gewinner und Verlierer.

Haben wir uns im Tumult der Seherfahrung zu spät mit dem Ziel des Films auseinandergesetzt? An dieser Schlussnote des Unbehagens tragen wir auf dem Nachhauseweg vom Kino schwer. Und das ist gut so. Denn für einen Kriegsfilm könnte es kaum einen würdigeren Abschluss geben.

Podcast: Darf Krieg unterhalten? Und welche ist die beste Kriegsserie?

Die 2001 von Tom Hanks und Steven Spielberg erschaffene Kriegsserie Band of Brothers gilt bis heute als einer der besten Genre-Vertreter. Aber auch die Nachfolge-Serie The Pacific und das neu erschienene thematische Sequel Masters of the Air sind Ausname-Erzählungen im Zweiten Weltkrieg.

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Wir stellen euch die drei Serien des Band of Brothers-Universums mit ihren Land-, Insel- und Luftschlachten vor, vergleichen ihre Vorzüge und fragen, ob Krieg Unterhaltung sein darf.

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